Der Nürburgring steht für Adrenalin, Motorsport-Mythos und den ewigen Traum von Geschwindigkeit. Doch was die meisten Zuschauer kaum wahrnehmen: Hinter jedem spektakulären Rennereignis steht eine unsichtbare Armee von Freiwilligen, die dieses Spektakel überhaupt erst möglich machen – die Sportwarte. Diese stillen Helden des Motorsports sorgen für Sicherheit, Ordnung und den reibungslosen Ablauf der Veranstaltungen.
Michael Kaliszan, 45 Jahre alt, Berufssoldat aus Kaisersesch, pflegt seit Jahrzehnten eine tiefe Verbindung zum Motorsport. Obwohl er selbst nie aktiv an einem Rennen teilgenommen hat, war der Nürburgring von frühester Kindheit an ein fester Bestandteil seines Lebens. Geboren im Mayener Stadtteil Kürenberg, führte ihn ein glücklicher Zufall auf die legendäre Rennstrecke – ein Erlebnis, das sein Leben für immer prägen sollte.
Ein früherer Nachbar, Pit Bilger, damals Leiter der Streckensicherung für den ADAC Mittelrhein und den AC Mayen, nahm den jungen Michael mit. „Ich war gerade 14 Jahre alt, als Bilger und mein Vater zusammen in der Kneipe standen und gefragt wurde, was ich am Wochenende vorhatte. Mein Vater antwortete schlicht: ‚Zieh dich an, du kommst mit Pit mit!‘ Und schon war ich am Ring“, erinnert er sich. „Heute wäre das natürlich undenkbar, weil minderjährige Jugendliche nicht einfach an der Strecke eingesetzt werden dürfen. Aber damals? So hat es eben angefangen.“
Der Weg vom ersten Schnupper-Einsatz bis hin zum vollwertigen Sportwart verlief bei Kaliszan klassisch. Mit seinen 14 Jahren durfte er noch keine sicherheitsrelevanten Aufgaben übernehmen und begann daher im Fahrerlager als Ordner. Er übernahm Aufgaben im Hintergrund und half, wo immer er gebraucht wurde. Als er 18 wurde, öffneten sich die Türen zu weiteren Verantwortungsbereichen – und der Mayener konnte endlich direkt an der Strecke tätig werden. Ob es das Schwenken der Flaggen oder die Kommunikation über Funk war – jede Rolle brachte ihn einen Schritt weiter. „Ich habe wirklich jeden einzelnen Posten durchlaufen“, erzählt er stolz. „Das ist heute genauso geregelt wie damals: Man fängt unten an, lernt die Grundlagen und arbeitet sich Stück für Stück hoch.“
Seine nächste Aufgabe als sogenannter Runner, also Läufer, klingt vielleicht unspektakulär, war jedoch von entscheidender Bedeutung. „Als Runner war man so etwas wie der Postbote der Rennleitung. Ich musste Mitteilungen, oft Strafen, von der Rennleitung zu den Teamchefs bringen. Manchmal wollten die darüber diskutieren, was echt anstrengend sein konnte. Aber dadurch bekam man einen tiefen Einblick in die Denkweise der Teams. Jeder versucht, seinen Vorteil durchzusetzen, und man spürt diesen Konkurrenzgeist sehr deutlich.“
Nachdem der aufstrebende Sportwart einige Zeit als Runner und in der Streckensicherung aktiv war, trat er schließlich die Nachfolge seines Mentors Bilger an. „Pit war immer noch als Leiter der Streckensicherung tätig, hatte jedoch bereits begonnen, nach einem geeigneten Nachfolger zu suchen. So übernahm ich nach und nach die Verantwortung für die gesamte Streckensicherung.“ Heute ist Michael Kaliszan nicht nur Leiter der Streckensicherung, sondern seit März 2025 auch der neue Vorsitzende seines Automobilclubs 1927 Mayen e.V. Zudem ist er im Beirat für Automobilsport im Sportausschuss des ADAC Mittelrhein. Seine umfassende Erfahrung und sein Wissen setzt er nicht nur für die Sicherheit an der Strecke ein, sondern auch für die Entwicklung des Nachwuchses und die Zukunft des Motorsports.
Das Fundament des Motorsports
Die Aufgaben eines Sportwarts lassen sich auf drei wesentliche Begriffe zusammenfassen: sichern, melden, helfen. Sichern bedeutet, Gefahrenstellen sofort und eindeutig zu kennzeichnen. Dabei sind Flaggensignale das wichtigste Kommunikationsmittel. „Egal wie modern die Technik ist – das Flaggensignal bleibt das A und O“, betont der Mayener. Melden ist die nächste Aufgabe. Es umfasst das rasche Übermitteln von Infos zu Vorfällen und Ereignissen an die Rennleitung. Die Sportwarte sind die Augen und Ohren für die Verantwortlichen in der Race Control. Helfen ist der letzte und vielleicht kritischste Teil. Das umfasst alles von der Sicherung und Räumung der Unfallstelle über die Unterstützung des Fahrers beim Aussteigen bis hin zur ersten Brandbekämpfung.
Die große Verantwortung hinter den Kulissen
Die Rolle als Leiter der Streckensicherung umfasst weit mehr als nur das Koordinieren der Sportwarte. Der Leiter ist mitverantwortlich für die Sicherheit an der gesamten Strecke und trägt damit eine enorme Verantwortung. Ihm unterstehen die Sportwarte, die Feuerwehr und der Rettungsdienst – alle Kräfte, die an der Strecke für Sicherheit sorgen. Er ist derjenige, der die Strecke nach den Vorgaben des Streckenabnahmeprotokolls besetzt und sicherstellt, dass alle eingesetzten Sportwarte entsprechend ausgebildet sind. Kaliszan ist also derjenige, der mit dem Rennleiter Entscheidungen trifft, wenn es um Sicherheitsmaßnahmen geht. Wenn ein Unfall passiert, muss er blitzschnell beurteilen, welche zusätzlichen Mittel notwendig sind. „Manchmal kann ein Fahrzeug im Kiesbett ohne große Hilfsmittel geborgen werden, aber in vielen Fällen brauchen wir spezialisierte Bergemittel, und das muss ich in Sekunden entscheiden.“
Die Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen Sportwarten und den professionellen Einsatzkräften wie am Nürburgring – dazu zählen Feuerwehr, Rettungsdienste und Abschleppdienste – ist das Herzstück der Sicherheitsarchitektur an einer Rennstrecke. Diese Kooperation ist eingespielt, präzise und auf Effizienz getrimmt. „Die externen Kräfte sind natürlich Spezialisten auf ihrem Gebiet, das ist ganz klar“, erklärt Michael Kaliszan. „Die Feuerwehrleute wissen genau, was sie tun, genauso wie der Rettungsdienst und die Abschleppdienste. Aber die Sportwarte sind genauso wichtig, denn sie sind die ersten, die eingreifen, die die Gefahrensituation erkennen und sofort Maßnahmen ergreifen.“
Ausbildung: Von der Theorie in die Praxis
Auch Sven Stoppe (53), Renndirektor der Rennsportserie DTM, betont, wie essenziell die Sportwarte für den Motorsport sind. „Ganz ehrlich, das reicht ja nicht, dass ich da bin. Wir brauchen natürlich die Teilnehmer, aber die brauchen auch die vielen Hundert Helfer. Wenn die Sportwarte nicht da sind, dann kann man einfach nicht fahren.“ Das Ehrenamt im Motorsport ist nicht nur eine Unterstützung, es ist das Fundament, auf dem der gesamte Sport ruht. Und das ist auch der Grund, warum die Ausbildung der Sportwarte sehr umfassend ist.
„Wir haben beim DMSB die DMSB Academy, eine Art ‚Universität des Motorsports‘, wo die Sportwarte umfassend ausgebildet werden“, sagt der am Schleizer Dreieck aufgewachsene Rennleiter. Die Ausbildung ist streng reguliert und umfasst sowohl Theorie als auch praktische Anwärtereinsätze. Jedes Jahr müssen Fortbildungen besucht werden, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Überall folgen die Abläufe den internationalen Normen und Regularien der Fédération Internationale de l’Automobile (FIA), die die Sicherheit und die Qualität der Einsätze auf höchstem Niveau sicherstellen. Die Ausbildung, um kompetent am Streckenrand agieren zu können, verläuft nach einem international anerkannten Standard und ermöglicht den Einsatz auf Rennstrecken weltweit.
Die Ausbildung selbst ist kostenneutral, da die Vereine, wie beispielsweise der ADAC Mittelrhein, die Ausbildungskosten übernehmen. Lediglich die anschließende Lizenzgebühr von etwa 25 Euro muss der Sportwart selbst tragen. „Das ist keine große Hürde, wenn man bedenkt, welche Möglichkeiten einem damit eröffnet werden“, sagt Kaliszan. „Viele unserer Sportwarte haben ihre Lizenz und sind damit bereit, jederzeit an nationalen und internationalen Veranstaltungen teilzunehmen.“
Die Aufgaben des Sportwarts gehören mit zu den anspruchsvollsten Tätigkeiten im Motorsport. Es geht dabei nicht nur um die Präsenz am Streckenrand, sondern auch um eine tiefe Leidenschaft für den Motorsport und das Wissen, Teil von etwas Größerem zu sein. „Ohne Sportwarte würde hier nichts laufen. Keine einzige Veranstaltung könnte stattfinden, wenn wir nicht diese Leute hätten, die ihre Freizeit für den Sport opfern.“ Und dabei sind die Sportwarte keine homogene Gruppe – vom Studenten über den Handwerker bis hin zum Professor oder sogar ehemaligen Rennfahrer: Jeder, der den Motorsport liebt, findet hier eine Aufgabe, die zu ihm passt.
Der Motorsport braucht neue Sportwarte!
Doch, wie in vielen Bereichen des Ehrenamts, gibt es auch hier große Nachwuchssorgen. „Wir haben es nicht mehr so leicht, junge Leute zu gewinnen“, gibt Kaliszan zu. „Früher, zu Schumi-Zeiten, konnten wir uns vor Anfragen kaum retten. Heute müssen wir aktiv auf junge Menschen zugehen und ihnen zeigen, wie spannend unser Job ist.“ Der Rückgang des Nachwuchses ist ein Problem, das den ganzen Sport betrifft! Überall wird darum gekämpft, junge Menschen für das Ehrenamt zu begeistern. Die Motorsportvereine und der ADAC bieten verschiedene Projekte an, um den Einstieg zu erleichtern. „Es ist eine unglaublich erfüllende Tätigkeit. Man steht mitten im Geschehen, ist Teil eines Teams, das sich aufeinander verlassen muss, und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Fahrer und Zuschauer sicher sind. Wer einmal als Sportwart aktiv war, der wird diese Erfahrung nie vergessen. Es geht um Verantwortung, um Teamgeist und um die Liebe zum Motorsport,“ sagen beide Experten unisono!
Der Motorsport ist angewiesen auf die stillen Helden hinter der Leitplanke. Ohne Sportwarte würde sich kein Rad drehen. Die Leidenschaft, die diese Menschen antreibt, ist das, was den Motorsport am Leben hält. „Wir brauchen Nachwuchs, wir brauchen Menschen, die bereit sind, Teil dieser einzigartigen Gemeinschaft zu werden und Verantwortung zu übernehmen“, appellieren Ehrenamtler Kaliszan und Hauptberufler Stoppe. „Es ist ein tolles Gefühl, da draußen zu stehen und zu wissen, dass man Teil von etwas Großem ist. Und wir laden jeden ein, sich das anzuschauen und es einfach mal auszuprobieren. Wir brauchen euch – und ihr werdet sehen, dass der Motorsport Euch auch einiges zurückgibt.“
KONTAKT
Wer sich für eine Ausbildung zum Sportwart interessiert, kann sich unter info@acmayen.de bei Michael Kaliszan melden.